Geschlechtsangleichende Transition: Auch im digitalen Leben schwierig
Nur eine Formalität? Für die Transgender-Community ist der Wechsel der Online-Identität kein simpler Verwaltungsakt. Eine mangelhafte Datenarchitektur macht es nur schlimmer.
Im Juni 2020 beantragte Eliott offiziell die Änderung seines Namens und seines Geschlechts. Eine Antwort erhielt er erst nach über sechs Monaten. Im Januar 2021 wurde ihm mitgeteilt, dass seine persönlichen Daten aktualisiert werden würden. Es war ein wichtiger Schritt in seiner Transition, so dass er die Wartezeit in Kauf nahm. Allerdings war die bürokratische Tretmühle gerade erst in Gang geraten. Bis seine neue Identität überall im Internet zu finden sein würde, sollte es noch eine Weile dauern.
Wie ist es, die eigene Identität zu ändern, wo doch alle Nutzer*innen überall digitale Spuren hinterlassen, die sich nicht so leicht verwischen lassen, Online-Profile hochgradig personalisiert sind und weitgehend automatisiert verwaltet werden? Für die Transgender-Communitygeht diese Frage weit über praktische Überlegungen hinaus. Für manche ist es schmerzhaft, wenn sie mit ihrem Deadname angesprochen werden, dem Namen, den sie vor ihrer Transition hatten. AlgorithmWatch sprach mit einigen trans Menschen darüber, welche negativen persönlichen Folgen das Ändern der Online-Identität haben kann.
Gesetzlich-administrative Fallstricke
Die Gesetzgebung in Frankreich macht das Problem deutlich. Das Gesetz zur Änderung der Identität wurde in den letzten Jahren mehrfach modifiziert. Seit 2016 sind Namensänderungen durch einen Antrag im Rathaus möglich. Seither ist es auch nicht mehr erlaubt, einen medizinischen Nachweis für die Geschlechtsumwandlung zu verlangen. Um ihre Identität vollständig zu ändern, müssen Transgender-Personen aber ein kompliziertes rechtliches Verfahren durchlaufen und eine Reihe von Dokumenten vorlegen, auch Einschätzungen von Freunden und Angehörigen. Trotzdem erfassen automatisierte Systeme die Daten nicht unbedingt richtig. Ein algorithmisches Missmanagement bei der Datenverwaltung kann zu falschen medizinischen Diagnosen oder auch einer verweigerten Sozialhilfe führen.
In der öffentlichen Verwaltung werden algorithmische Systeme für unterschiedliche Zwecke im Bildungs- und Gesundheitswesen oder auch bei der Steuerverwaltung und Strafverfolgung eingesetzt, zum Beispiel um Sozialleistungen zu berechnen, Risiken vorherzusagen oder Datensätze abzugleichen. Die Verfahren können nur funktionieren, wenn über interoperable Systeme ein zuverlässiger Datenaustausch zwischen lokalen und nationalen Verwaltungsstellen stattfindet. Je weniger sich die Datenarchitektur dafür eignet, desto grösser werden die Schwierigkeiten für die Transgender-Community.
«Es ist einfacher als früher [den eigenen Namen zu ändern]», sagt die trans Frau Daisy Letourneur, die für die feministischen NGO Toutes des femmes arbeitet. «Aber Richter*innen haben noch immer einen mehr oder weniger grossen Ermessensspielraum.» Toutes des femmes setzt sich dafür ein, dass trans Personen grundsätzlich die administrative Freiheit erhalten, ihr Geschlecht und ihren Namen nach ihren Bedürfnissen zu ändern. Damit würden sie die gleichen Rechte erhalten wie die übrige französische Bevölkerung: In Frankreich ist das Ändern des Namens oder anderer persönlicher Merkmale bei einer Heirat oder bei einem Wechsel der Religionszugehörigkeit schliesslich erlaubt.
Eliott erinnert sich, dass nach der Nachricht, seinen Namen und sein Geschlecht ändern zu dürfen, die Änderung seiner Geburtsurkunde ein unkomplizierter Vorgang war, der nur eine Woche dauerte. Allerdings musste er zwei bis drei Monate auf eine neue Sozialversicherungsnummer warten. In Frankreich geben die Sozialversicherungsnummern das Geschlecht an: Bei Männern beginnen sie mit 1, bei Frauen mit 2. Eliott musste der Verwaltung ein Bündel an Dokumenten schicken, etwa Kopien seiner Geburtsurkunde, die Genehmigung für seine Transition und eine persönliche Begründung dafür. Daraufhin erhielt er eine vorläufige Bescheinigung, die er verwenden konnte, solange er noch kein neues Sozialversicherungskonto hatte. Aber zwei Wochen bevor das neue Konto eingerichtet war, wurde das alte bereits gesperrt.
«Das kann bei einer langen Krankheit, bei der bestimmte Behandlungen nötig sind, zu einem grossen Problem werden», erklärt Letourneur. «Die Anonymisierung bei diesem Vorgang ist eher hinderlich als nützlich.» Statt das vorhandene Sozialversicherungskonto zu aktualisieren, erhalten trans Personen ein völlig neues, was zu zusätzlichem Verwaltungsaufwand führt. «Meine gesamte Krankengeschichte wurde gelöscht, Unterlagen zu Krankschreibungen, Zahlungen von der Sozialversicherung und so weiter.»
Automatisierte Sozialverwaltung
Der Umgang mit dem Sozialsystem entpuppte sich als Herausforderung: «Mein Antrag wurde bewilligt. Beim Schriftverkehr wurde ich zwar als Mann angesprochen, aber weiterhin mit meinem alten Namen.»
Obwohl die Verwaltung automatische Systeme einsetzt, um Betrugsfälle aufzudecken, scheinen die Datenbanken nicht reibungslos simultan aktualisiert zu werden. Um seine Daten ändern zu lassen, musste Eliott hartnäckig sein: «Ich habe mehrere E-Mails geschrieben, woraufhin Dokumente von mir verlangt wurden, die ich schon längst eingereicht hatte. Es hiess, dass mein Name ohne eine Kopie meines neuen Personalausweises nicht geändert werden könne. Es dauerte aber weitere drei Monate, bis er endlich ausgestellt war. Dabei war mein Geschlecht bereits korrigiert worden. Das war alles sehr verwirrend.»
Violet liess sich 2022 umwandeln. Sie machte die Erfahrung, dass die regionalen Datenbanken nicht miteinander verbunden waren: «Nach einem Umzug habe ich viele Monate und zahlreiche Anrufe gebraucht, um herauszufinden, dass das Amt in meinem neuen Wohnort nichts davon wusste, dass ich meine Identität geändert hatte. Alle Informationen waren im Amt meines früheren Wohnorts steckengeblieben.»
Sie bat Eliott um Hilfe. Trotzdem kam die Verwaltung mit der Aktualisierung ihrer Daten nicht hinterher. Manche Zahlungen wurden deswegen zwei Monate lang ausgesetzt. «Für Einwanderer*innen kann es noch schwieriger werden», berichtet Daisy Letourneur. «Der Betrugsverdacht ist allgegenwärtig.»
France Connect, der zentrale französische Online-Dienst zur Identifizierung und Authentifizierung, soll die öffentliche Verwaltung «für über 40 Millionen Menschen» erleichtern. Violet kann darüber nur lachen: «Ich musste meinen Namen auf jeder Verwaltungswebsite manuell ändern.»
Altlasten
In der Privatwirtschaft machte Eliott ähnliche Erfahrungen. Seine Bank änderte zwar seinen Namen, aber nicht sein Geschlecht. Er vermutet, dass sie zwei Datenbanken verwendet, die unabhängig voneinander operieren.
Wenn es Menschen nicht gelingt, ihre Identität auch online zu ändern, kann das unangenehme Folgen für sie haben. Das kann im digitalen Leben geschehen, etwa wenn sie einen öffentlichen oder privaten Online-Dienst nutzen möchten, wie auch im wirklichen Leben. Daisy Letourneur dachte zum Beispiel, sie habe alles hinter sich, bis ihr Deadname in einer Datenbank der Schule ihres Kindes auftauchte. Jahre nachdem ihre Transition abgeschlossen war, musste sie sich wieder outen, um die Sache aufzuklären.
Eliott hat sich inzwischen mit einer gewissen Indifferenz abgefunden: «Bei meiner Arbeit habe ich die Personalabteilung gebeten, die Daten meiner neuen Identität entsprechend zu aktualisieren, was sie zügig tat. Auf der Website des Unternehmens blieb allerdings mein alter Name stehen, bis ich es verliess.»
Obwohl die Personalabteilung die Änderung vorgenommen hatte, wurden Eliotts Versicherungsdaten nicht aktualisiert. Als er es bemerkte, musste er sich selbst an die Versicherungsgesellschaft wenden: «Ich musste mich selbst um alles kümmern, niemand konnte mir sagen, was zu tun war.»
Psychische Belastung
Das Finanzamt brauchte ein ganzes Jahr, um seinen Personenstand vollständig zu aktualisieren. Dennoch ist der öffentliche Dienst längst nicht das grösste Problem für trans Menschen. Daisy Letourneur erklärt, dass Beamte immerhin meistens wissen, welches offizielle Formular wie ausgefüllt werden muss und was damit zu tun ist. In der Privatwirtschaft hingegen gäbe es keine einheitlichen Verfahren.
Eliott hat die Erfahrung gemacht, dass er Beamte zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert. Sie hätten bei ihren Vorgesetzten nachfragen müssen, wie sie vorgehen sollen. Die hätten aber auch erst nach Antworten suchen müssen. Von daher wünscht sich Eliott, dass «zumindest» Beamte besser informiert werden: «Wenn das Thema so wie eine Namensänderung bei einer Heirat oder bei einem Wechsel der Religionszugehörigkeit behandelt werden würde, wäre vielen Menschen schon geholfen.» In einer perfekten Online-Welt gäbe es «ein einfaches Formular, mit dem der Name gleich an mehreren Stellen geändert werden kann». Heute seien bei einer Transition aber «spezielle digitale Kenntnisse und viel Zeit notwendig. Das ist wirklich Arbeit.»
Um die Dinge zum Besseren zu wenden, wandte sich Eliott an Wikitrans. Das Community-Wiki stellt Informationen bereit, um Menschen bei ihrer Transition zu helfen. Die Menschen helfen sich gegenseitig und geben einander Tipps. Changemy.name ist eine weitere von Ehrenamtlichen gepflegte Website. Darauf werden private Dienste danach bewertet, wie gut sie bei Konto-Aktualisierungen funktionieren. Wenn für trans Menschen zu viele Schwierigkeiten auftreten, können sie dann einfach den Anbieter wechseln, zum Beispiel die Bank. Daisy Letourneur meint: «Das ist oft die einfachste Lösung.«»