Projekt «Analytics for the People?»
Was Algorithmen am Arbeitsplatz für Rechte und Mitwirkung bedeuten
AlgorithmWatch CH untersuchte in einem gemeinsamen Projekt mit der Gewerkschaft syndicom, wie die Arbeitnehmenden beim Einsatz von algorithmischen Systemen am Arbeitsplatz befähigt werden können.
Projekt abgeschlossen
Projektlaufzeit: November 2022 bis April 2024
Übersicht
- Um was geht’s?
- Erkenntnisse aus dem Projekt
- Publikationen aus dem Projekt
- So geht’s weiter
- Weitere Beiträge zum Thema
Im Fokus des Projekts «Analytics for the People? Was Algorithmen am Arbeitsplatz für Rechte und Mitwirkung bedeuten» lag, einen Überblick herzustellen, wie Algorithmen oder «KI» am Arbeitsplatz genutzt werden, was das für die Rechte von Arbeitnehmenden bedeutet und welche Handlungsmöglichkeiten für Gewerkschaften und politische Forderungen sich daraus ableiten.
Um was geht’s?
Automatisierte Entscheidsysteme (Automated Decision-Making oder ADM-Systeme) finden am Arbeitsplatz Anwendung, sei dies bei Rekrutierungsverfahren, zur Kontrolle der Produktivität oder um Prozesse effizienter zu machen. Diese algorithmischen Systeme treffen mitunter für die Mitarbeitenden wesentliche Entscheidungen oder machen Empfehlungen, etwa darüber, sie zu fördern, zu befördern, zu belohnen oder gar zu entlassen. Während die Nutzung dieser Systeme unterschiedlich weit fortgeschritten ist, planen viele Unternehmen diese für die Zukunft. Entsprechend ist es wichtig, dass sich Arbeitgeber, Gewerkschaften und Arbeitnehmende bewusst sind, mit welchen Risiken die Nutzung dieser Systeme verbunden sind und wie der Einsatz solcher Systeme so gestaltet werden kann, dass sowohl Arbeitgeber als auch Mitarbeitende davon profitieren.
Erkenntnisse aus dem Projekt
In Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft syndicom haben wir von November 2022 bis April 2024 zu diesen Fragen geforscht und unsere Ergebnisse publiziert. Im Zentrum stand dabei jeweils die Beteiligung der Arbeitnehmenden beim Einsatz von algorithmischen Systemen am Arbeitsplatz. Der Fokus leitet sich aus zwei Gründen ab: Erstens können durch den Einbezug der Arbeitnehmenden diverse Risiken algorithmischer Systeme, wie Diskriminierung oder negative Auswirkungen auf die Gesundheit reduziert werden. Zweitens führt Beteiligung zu besseren Systemen, sowohl für Unternehmen als auch die Mitarbeitenden, weil die Systeme dadurch die Bedürfnisse und den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden besser berücksichtigen können. Nachfolgende Erkenntnisse hat das Projekt hervorgebracht.
1. Zentrale Rolle von Mitarbeitenden
Wir haben die aktuelle Situation zum Einsatz algorithmischer Systeme am Arbeitsplatz und der Beteiligung der Arbeitnehmenden analysiert und mit Expert*innen diskutiert. Dabei haben wir unter anderem folgende Erkenntnisse gewonnen:
- Ethische und rechtliche Folgenabschätzungen sind unumgänglich und müssen die Beteiligung der Arbeitnehmenden ergänzen.
- Ethische Auswirkungen einer Anwendung hängen von der konkreten Umsetzung im jeweiligen Kontext ab.
- Mitwirkung der Mitarbeitenden muss alle Betroffenen berücksichtigen, nicht nur die Anwender*innen (wie etwa HR-Manager*innen) eines Systems.
- Verantwortung für die Mitwirkung der Mitarbeitenden liegt beim Arbeitgeber.
- Vertrauensaufbau ist der Schlüssel zum erfolgreichen Einsatz algorithmischer Systeme.
2. Lücken im aktuellen Rechtsrahmen
Wir haben die rechtliche Situation beleuchtet und daraus ein Positionspapier für die Schweizer Politik formuliert. Die Forderungen wurden in der Wintersession 2023 auch im Nationalrat aufgegriffen. Im März 2024 waren die Forderungen zudem Thema eines Roundtables mit Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften und Unternehmen. Konkret geht es um folgende Forderungen:
- Das Mitspracherecht der Mitarbeitenden muss ausgeweitet werden, damit Arbeitnehmenden bei allen Anwendungsbereichen algorithmischer Systeme, die potenziell grosse Risiken mit sich bringen, entsprechende Mitwirkungsrechte zustehen.
- Die Informationsrechte beim Einsatz von algorithmischen Systemen müssen gestärkt werden, damit klar definiert ist, welche Informationen in welcher Form die Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden zur Verfügung stellen müssen.
- Die Einführung von Sanktionsmöglichkeiten soll die Rechte der Mitarbeitenden besser schützen, da es ansonsten schwierig ist für Mitarbeitende, ihre Rechte einzufordern.
- Mitarbeitende sollen sich auf externe Expert*innen berufen können, falls ihnen bestimmtes Fachwissen fehlt, um ihre Beteiligungsrechte wahrnehmen zu können.
- Ein kollektives und effektives Klagerecht soll dafür sorgen, dass die betroffenen Mitarbeitenden sich kollektiv für ihre Rechte einsetzen können, und dass auch ihre Arbeitnehmendenverbände (also etwa Gewerkschaften) dies tun können.
- Die Bestimmungen des Gesundheitsschutzes müssen präzisiert und allenfalls ausgeweitet werden. Algorithmische Systeme, die einen direkten Bezug zum Gesundheitsschutz aufweisen (sprich Systeme, die zur Überwachung genutzt werden können), unterliegen heute besonderen Mitwirkungspflichten.
3. Wissensvermittlung für bessere Arbeit für alle
Weder die Gewerkschaften noch die Arbeitgeber müssen auf ein Gesetz warten, welches neue Rechte schafft, die Arbeitnehmenden einzubeziehen – im Sinne eines nachhaltigen und sinnvollen Einsatzes von Ressourcen hilft es auch den Unternehmen, wenn bei Digitalisierungsprozessen die Mitarbeitenden mitbestimmen können. Deshalb haben wir ausgearbeitet, was Arbeitnehmende, Gewerkschaften und Personalvertretungen wissen müssen, um sich für die Rechte der Arbeitnehmenden einsetzen zu können, wenn in einem Betrieb algorithmische Systeme zum Einsatz kommen. Dies umfasst unter anderem folgende Punkte:
- Algorithmische Systeme: Unternehmen können unabhängig von ihrer Grösse und Branche algorithmische Systeme einsetzen, die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden haben. Es gibt beispielsweise Anwendungen in den Bereichen: Rekrutierung, Mitarbeitendenbindung, Kontroll- und Leistungsmanagement sowie Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Prozesse.
- Rechtliches Basiswissen: Diverse Rechte und Pflichten regeln aktuell das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden, die auch beim Einsatz von algorithmischen Systemen am Arbeitsplatz zum Tragen kommen. Dabei müssen nicht nur die individuellen, sondern auch die kollektiven Interessen und Risiken berücksichtigt werden.
- Ethisches Basiswissen: Beim Einsatz von algorithmischen Systemen am Arbeitsplatz muss auch die ethische Perspektive berücksichtigt werden. Diese beinhaltet intrinsische Werte wie Gerechtigkeit und Wohlergehen, aber auch prozedurale Werte wie Transparenz oder Kontrolle.
- Mitwirkungsprozesse: Bei der Mitwirkung können sich die Gewerkschaften auf einen rechtlichen Rahmen beziehen, der den Arbeitnehmenden gewisse Rechte zuspricht. Die Mitwirkung der Arbeitnehmenden ist bei algorithmischen Systemen in verschiedenen Phasen eines Systems möglich und auch nötig.
Publikationen aus dem Projekt
Basisanalyse «Analytics for the People? Wo Algorithmen am Arbeitsplatz eingesetzt werden – ein Überblick» von Bettina Dürr
Algorithmische Systeme am Arbeitsplatz können massive Auswirkungen auf Mitarbeitende haben, die deshalb über den Einsatz der Systeme mitbestimmen sollten, um ihre grundlegenden Rechte zu wahren. Dieser Kurzbericht zeigt, wie Arbeitgeber in der Schweiz mit ihrer Verantwortung umgehen. Weiterlesen
Rechtsgutachten «Beteiligung der Arbeitnehmenden beim Einsatz von ADM-Systemen am Arbeitsplatz» von Isabelle Wildhaber und Isabel Ebert
Vermehrt kommen an Arbeitsplätzen in der Schweiz algorithmische Systeme zum Einsatz. Unternehmen müssten gemäss geltendem Recht ihre Angestellten in gewissen Situationen einbeziehen. Dies passiert jedoch oft nicht. Dieses Rechtsgutachten zeigt auf, welche Rechte die Arbeitnehmenden und welche Pflichten die Arbeitgeber haben, wenn es um die Beteiligung der Mitarbeitenden geht, welche Lücken es im rechtlichen Rahmen gibt und wie diese geschlossen werden könnten. Weiterlesen
Qualifizierungsmassnahmen «Algorithmen am Arbeitsplatz: Mitarbeitende befähigen – Mitwirkung ermöglichen» von Bettina Dürr
Die Mitwirkung der Arbeitnehmenden beim Einsatz von algorithmischen Systemen am Arbeitsplatz ist ein wichtiger Faktor, damit sich dieser technologische Wandel positiv auf die Arbeitnehmenden auswirken kann. Diese Publikation fasst zusammen, was Gewerkschaften über algorithmische Systeme am Arbeitsplatz wissen müssen und wie sie die Mitwirkung der Arbeitnehmenden ermöglichen können. Weiterlesen
So geht’s weiter
AlgorithmWatch CH wird sich weiterhin dafür stark machen, dass beim Einsatz algorithmischer Systeme am Arbeitsplatz die Rechte der Arbeitnehmenden respektiert werden. Die Erkenntnisse aus diesem Projekt bilden die Basis dafür. Um über die aktuellen Arbeiten von AlgorithmWatch CH zum Thema algorithmische Systeme und Arbeit informiert zu bleiben: hier unsere AlgorithmNews abonnieren. Auch syndicom wird sich weiter mit dem Thema beschäftigen, wie Daniel Hügli, Geschäftsleitungsmitglied und Leiter Sektor ICT bei syndicom, in einem Interview erklärte.
Weitere Beiträge zum Thema
Projektpartnerin: