
Medienmitteilung
KI-Regulierung: Zaghafter Bundesrat
Der Bundesrat will Künstliche Intelligenz regulieren. Sein heutiger Grundsatzentscheid geht in die richtige Richtung, ist aber zaghaft und wenig weitsichtig. Am Tag nach dem AI Action Summit in Paris und in Zeiten, in denen die Machtkonzentration bei Techkonzernen und deren Inhabern ein bedenkliches Ausmass angenommen hat, müsste der Bundesrat entschiedener vorgehen und die Interessen der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen, um Grundrechte, Demokratie und Nachhaltigkeit im Umgang mit KI umfassend zu schützen. Welche Massnahmen dafür nötig wären, zeigt AlgorithmWatch CH in einer eigenen Analyse umfassend auf.

Seinen Grundsatzentscheid hat der Bundesrat auf Basis einer Auslegeordnung zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) getroffen, die er dem Bundesamt für Kommunikation BAKOM bereits im November 2023 in Auftrag gegeben hatte und die nach Verzögerungen nun endlich vorliegt. Mit diesem Entscheid unternimmt der Bundesrat Schritte in die richtige Richtung: Er anerkennt, dass KI zum Schutz der Grundrechte reguliert werden muss und strebt etwa an, die KI-Konvention des Europarates zu ratifizieren. Die zivilgesellschaftliche Organisation AlgorithmWatch CH begrüsst diese Absichtserklärung. Sie kritisiert jedoch, dass wirtschaftliche Interessen gegenüber den Interessen der Bevölkerung im Vordergrund zu stehen scheinen. Ausserdem verpasst der Bundesrat die wichtige Chance, über den Tellerrand hinaus zu schauen im Umgang mit KI und den Unternehmen, die dahinter stehen und etwa auch Fragen der Machtkonzentration, Nachhaltigkeit oder Demokratie anzugehen. Darüber hinaus sind die ersten Gesetzesvorschläge erst für Ende 2026 geplant. Dieser Zeitplan wird den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht.

«Der Bundesrat unternimmt mit seinen Vorschlägen zur KI-Regulierung Schritte in die richtige Richtung – aber tut dies mit angezogener Handbremse und zu wenig weitsichtig. Der vom Bundesrat gewählte Ansatz erweckt den Eindruck einer Regulierung à la carte, die vor allem auf ‹Flexibilität› für Unternehmen abzielt, statt die Interessen und Rechte der Bevölkerung ins Zentrum zu rücken. Dabei müssten wir besser heute als morgen drängende Herausforderungen wie Diskriminierungen durch KI, diskursschädigende Social-Media-Algorithmen, den enormen Ressourcenverbrauch grosser KI-Modelle oder die Machtkonzentration bei einigen wenigen Tech-Konzernen angehen.
Angela Müller, Geschäftsleiterin AlgorithmWatch CH
Wir müssen uns fragen: Welche KI wollen wir? Gerade am Tag nach dem AI Action Summit in Paris, an dem die Rufe nach immer grösserer KI und die Investitionen in immer grössere KI-Infrastruktur ein neues Level erreicht haben, müsste der Bundesrat mehr Gestaltungswillen zeigen: Er muss für einen Umgang mit KI sorgen, der tatsächlich Grundrechte schützt, Demokratie fördert und Nachhaltigkeit ermöglicht.»
Angela Müller hat die letzten zwei Tage für AlgorithmWatch am KI-Aktionsgipfel in Paris teilgenommen.
Richtige Richtung, aber drohende Schutzlücken und fehlende Vision
AlgorithmWatch CH begrüsst, dass der Bundesrat beabsichtigt, die KI-Konvention des Europarates zu ratifizieren. Dies ist ein wichtiges Signal, dass Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Umgang mit KI geschützt und gefördert werden müssen, und bringt Massnahmen mit sich, um Transparenz, Diskriminierungsschutz und Aufsichtsmöglichkeiten zu stärken. Es erscheint auch grundsätzlich sinnvoll, dass sektorielle Ansätze mit horizontalen Anforderungen kombiniert werden. Der Bundesrat anerkennt zudem, dass es einen intern koordinierten Ansatz braucht und verschiedene Stakeholder einbezogen werden müssen. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass er eine nur zaghafte Umsetzung der Konvention anstrebt und etwa Pflichten für private Akteure auf ein Minimum beschränkt. Damit drohen wesentliche Lücken, wenn es um den Schutz unserer Grundrechte geht, etwa vor Diskriminierung im Recruiting und am Arbeitsplatz, bei Versicherungen oder bei Bonitätsprüfungen. Ausserdem ist es bedauerlich, dass die Frage des Ressourcenverbrauchs und der Nachhaltigkeit von KI vom Bundesrat nicht angegangen wird. Dies wäre von grundlegender Bedeutung in einer Zeit, in der immer grössere KI-Modelle immer mehr Wasser und Energie verbrauchen und so erheblich zum globalen CO2-Ausstoss beitragen.
Insgesamt erscheint der gewählte Regulierungsansatz damit mutlos. Während die Interessen des Wirtschafts- und Innovationsstandortes Schweiz explizit betont werden, fehlt die Vision, auch für Mensch, Gesellschaft und Umwelt einen tatsächlichen Nutzen sicherzustellen. Es ist zwar sinnvoll, dass der Bundesrat nebst den gesetzlichen Massnahmen auch weitere, nicht-gesetzliche Schritte ergreifen will, wie AlgorithmWatch CH es in ihrem Positionspapier ebenfalls vorschlägt. Die Organisation betont jedoch, dass diese nicht nur auf Selbstregulierung und Wirtschaftsförderung ausgerichtet sein dürfen. Wir brauchen auch Alternativen, um gemeinwohlorientierte, demokratieförderliche und nachhaltige KI zu realisieren – und dafür müssen Infrastrukturen bereitgestellt und interdisziplinäre Forschung im öffentlichen Interesse, Journalismus, Bildung, Demokratiekompetenz und Zivilgesellschaft gefördert werden. AlgorithmWatch CH begrüsst vor diesem Hintergrund, dass sich die Schweiz am KI-Aktionsgipfel in Paris einer entsprechenden Initiative angeschlossen hat.
Welche KI wollen wir? Schäden verhindern und Nutzen für alle ermöglichen
Wenn der Bundesrat dafür sorgen will, dass KI allen Menschen zugutekommt, muss er sich den gesellschaftlichen Herausforderungen ernsthaft annehmen, mit denen die Technologie einhergeht. Sich allein auf das Gutdünken von Tech-Unternehmen zu verlassen, wäre blauäugig. AlgorithmWatch CH appelliert daher an den Bundesrat, seine Verantwortung wahrzunehmen, die Regulierungen rund um KI ohne Scheuklappen anzugehen. Was es braucht, ist eine ganzheitliche Strategie, die den grösseren Kontext und die politische Ökonomie hinter KI nicht verkennt. Diese soll einerseits die negativen Auswirkungen der Technologie angehen und gleichzeitig gemeinwohlorientierte Innovationen fördern. Dazu gehört etwa auch die Regulierung von Online-Plattformen wie Social Media und Suchmaschinen, die der Bundesrat schon längst in die Vernehmlassung schicken wollte. Dazu sollten aber auch Massnahmen gehören, die der Konzentration von Markt- und Meinungsmacht bei den grossen KI-Unternehmen begegnen, deren Inhaber zunehmend an politischem Einfluss gewinnen.
«Das Ziel muss sein, die technologische Entwicklung an sich nachhaltig und im Interesse des Gemeinwohls zu gestalten und nicht nur Partikularinteressen einiger Weniger zu bedienen: KI soll so entwickelt und eingesetzt werden, dass sie allen Menschen tatsächlich zugutekommt», schreibt AlgorithmWatch CH in ihrem Positionspapier «Welche KI wollen wir?».