
Medienmitteilung
Meinungsmacht von Social Media: Bundesrat schlägt endlich Gesetz vor
Der Bundesrat hat heute nach langer Verzögerung einen Gesetzesentwurf zur Regulierung von Online-Plattformen wie Instagram, X oder Google in die Vernehmlassung geschickt. AlgorithmWatch CH begrüsst diesen wichtigen Schritt, zu dem die Organisation zuvor mit einer breiten Allianz aus allen Parteien den Bundesrat aufgefordert hatte. Der Entwurf sieht wichtige Regeln vor, um Transparenz auf Social Media zu stärken. Gleichzeitig braucht es weitere Massnahmen, um der Machtkonzentration grosser Tech-Konzerne zu begegnen und eine konstruktive öffentliche Debatte online zu ermöglichen, die für die Gesellschaft und Demokratie förderlich ist, wie AlgorithmWatch CH in einem Positionspapier darlegt.

Der bundesrätliche Gesetzesvorschlag zur Regulierung von Social Media und Suchmaschinen war ursprünglich bereits für März 2024 angekündigt. Mit Blick auf die zunehmende Konzentration von Markt- und Meinungsmacht bei einigen wenigen Tech-Giganten war es höchste Zeit, dass der Bundesrat die Vernehmlassung dazu nun eröffnet. Dies hatte zuvor eine breite Allianz mit Mitgliedern aller Bundeshausfraktionen in einem von AlgorithmWatch CH initiierten Offenen Brief an den Bundesrat gefordert.
«Social-Media-Plattformen, die es einfach machen, zu Hass aufzustacheln, KI-Chatbots auf Suchmaschinen, die unzuverlässige Antworten ausspucken, und die Machtkonzentration bei millionenschweren Unternehmen, die dahinter stecken, zeigen: Hier läuft etwas falsch. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, damit wir wissen können, welche Auswirkungen Social Media und Suchmaschinen auf einzelne Menschen und die Gesellschaft haben. Gleichzeitig zeigen sich Lücken, etwa mit Blick auf generative KI-Chatbots, die vom Gesetz voraussichtlich nicht erfasst werden.»
Estelle Pannatier, Senior Policy Managerin bei AlgorithmWatch CH
Rahmenbedingungen für eine konstruktive öffentliche Debatte gefordert
Der Bundesrat sieht unter anderem vor, dass zukünftig Online-Plattformen, die besonders gross sind, verpflichtet werden, die Risiken für Grundrechte, Gesellschaft und Demokratie, die von ihnen ausgehen, regelmässig zu untersuchen. Auch möchte er diese Plattformen verpflichten, Zugang zu ihren Daten für Forschung im öffentlichen Interesse durch Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu gewähren und mehr Transparenz zu schaffen, wie sie ihre Inhalte empfehlen und moderieren, also Posts löschen oder Accounts sperren. Diese Massnahmen stellen wichtige Schritte dar, um Social Media stärker zu einem Ort zu machen, an dem ein konstruktiver Dialog stattfinden kann.
Gleichzeitig zeigen sich verschiedene Herausforderungen, bei denen noch unklar ist, inwiefern der Gesetzesentwurf ihnen gerecht wird. Eine zentrale Frage stellt sich hinsichtlich des Geltungsbereichs der Regulierung. Denn der aktuelle Entwurf gilt nur für sehr grosse Plattformen, deren monatliche Nutzenden mindestens zehn Prozent der Bevölkerung der Schweiz ausmachen. Der Einfluss einer Plattform kann aber auch durch andere Faktoren bedingt sein, etwa dadurch, dass sich besonders viele einflussreiche Persönlichkeiten oder Institutionen dort austauschen. Entsprechend fordert AlgorithmWatch CH, dass auch kleinere Plattformen nicht automatisch ausser Acht gelassen werden. Eine weitere Lücke zeigt sich zudem bei generativen KI-Chatbots, Bild- oder Videogeneratoren wie ChatGPT und Co.: Diese haben schon heute einen grossen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir Zugang zu Informationen erhalten und unsere Meinung bilden. Sie werden von Menschen genutzt, um sich – auch in sensitiven Situationen – beraten zu lassen. Wenn diese vom Gesetz nicht erfasst sind, droht ein Schutzvakuum, das wohl in Zukunft nicht kleiner, sondern grösser wird.
Ausserdem zeigen die Erfahrungen des Digital Services Act der EU schon jetzt, dass die Schweiz die Umsetzung vorausschauend angehen muss, damit ihre Regulierung nicht einfach zum zahnlosen Papiertiger verkommt.
Öffentlicher Druck wirkt
AlgorithmWatch CH hatte zuvor als Reaktion auf den Entscheid des Bundesrates, die Vernehmlassung zu verzögern, gemeinsam mit weiteren Organisationen einen Offenen Brief an den Bundesrat zugestellt: Mit diesem haben 40 prominente Erstunterzeichnende, darunter Parlamentarier*innen aller Bundeshausfraktionen, 24 Organisationen sowie rund 1600 weitere Menschen den Bundesrat aufgefordert, sich zum Schutz unserer Demokratie zu bekennen und einen klaren Fahrplan für die Plattformregulierung vorzulegen.
«Der breit abgestützte öffentliche Druck auf den Bundesrat hat Wirkung gezeigt: Der Bundesrat hat sich dazu bekannt, dass wir unsere gesellschaftliche Debatte nicht einfach den Technologiekonzernen überlassen können. Viele der im Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Massnahmen sind zentral und begrüssenswert, um Social Media stärker zu einem Ort zu machen, an dem ein konstruktiver Dialog stattfinden kann. Nun muss sichergestellt werden, dass die Unternehmen dahinter tatsächlich auch zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie negative Folgen für Einzelpersonen oder die Gesellschaft in Kauf nehmen, um damit ihren Profit zu maximieren. Zudem droht ein Vakuum, wenn generative KI-Chatbots und Bildgeneratoren wie ChatGPT und Co. vom Gesetz nicht an sich erfasst sind. Diese beeinflussen aber schon heute wesentlich, wie wir Informationen erhalten und unsere Meinung bilden.»
Angela Müller, Geschäftsleiterin AlgorithmWatch CH
Puzzleteil einer umfassenden Strategie im Umgang mit Algorithmen, KI und Big Tech
Darüber hinaus weist AlgorithmWatch CH insbesondere darauf hin, dass eine Plattformregulierung, wie sie jetzt vorliegt, nicht ausreichen wird, um öffentliche Debattenräume zu gestalten, die nicht von der Machtkonzentration von Tech-Unternehmen geprägt sind. Entsprechend braucht es auch Schritte, die der Marktmacht der Plattformunternehmen durch wettbewerbsrechtliche Massnahmen begegnen, die Abhängigkeiten reduzieren und die staatliche Handlungsfähigkeit durch Investitionen in Infrastruktur, Forschung und öffentliche Güter stärken; die interdisziplinäre Forschung zu Online-Plattformen fördern; die starken Journalismus ermöglichen und die Medien- und Demokratiekompetenz in der Bevölkerung stärken. Und insbesondere brauchen wir demokratieförderliche Alternativen zu den jetzigen, auf Profitmaximierung ausgerichteten Plattformen zu entwickeln. In unserer Demokratie brauchen wir eine konstruktive öffentliche Debatte, die uns Zugang zu verlässlicher Information gibt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und die Grundrechte von Einzelpersonen achtet. Die Politik muss jetzt Farbe bekennen: Wenn sie das ermöglichen will, muss sie über den Tellerrand hinaus denken und bereit sein für weitere Massnahmen, um der Machtkonzentration bei grossen Tech-Konzernen zu begegnen.
In einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier zeigt AlgorithmWatch CH umfassend auf, was notwendig wäre, um eine konstruktive öffentliche Debatte zu ermöglichen, die förderlich ist für die Gesellschaft und die Demokratie, positiv für die Einzelnen und fair für alle.
Zudem fordert die Organisation, dass diese Massnahmen auch als Puzzleteil einer umfassenden Strategie im Umgang mit Algorithmen, KI und Big Tech verstanden werden, wie sie in einer separaten Stellungnahme zur Stossrichtung des Bundesrates zur KI-Regulierung aufzeigt.



