Medienmitteilung

Keine Massenüberwachung an Schweizer Bahnhöfen!

Die SBB will die Überwachung der Reisenden in über 50 Bahnhöfen umfassend ausbauen – und das unter anderem zu kommerziellen Zwecken. Die Überwachung erfolgt dabei mutmasslich auch mittels biometrischer Auswertung unserer Gesichter. Dagegen wehren wir uns in einem offenen Brief.

Illustration: Christina Baeriswyl

Die SBB will ab September 2023 die Überwachung der Reisenden an über 50 Schweizer Bahnhöfen umfassend ausbauen. Wie der K-Tipp am 15. Februar 2023 berichtete, möchte sie mit einem neuen «Kundenfrequenzmesssystem» analysieren, welche Reisenden sich wie lange im Bahnhof aufhalten, wo sie sich bewegen, in welchen Bahnhofsläden sie einkaufen und wie viel Geld sie dabei ausgeben. Dabei sollen mitunter versteckte Kameras – mutmasslich auch anhand unseres Gesichts – sensible Daten wie Altersgruppe, Geschlecht und Grösse der Reisenden sowie mitgeführtes Gepäck und Gegenstände wie Kinderwagen, Rollstuhl und Velo erfassen. So sollen unsere Bewegungen und unser Verhalten im Bahnhof erhoben werden, was zwar laut SBB anonymisiert passieren soll, aber die Verfolgung von Einzelpersonen bei ihrem Gang durch den Bahnhof zulässt. 

Die SBB begründet dies mit betrieblichen und kommerziellen Interessen. Das Ziel ist gemäss Ausschreibungsdokumenten dabei unter anderem, die «Abschöpfung» pro Reisende zu erhöhen – etwa durch «gezielte Werbung», «Verbesserung der kommerziellen Performance von Shops» oder der «Optimierung des Mieter-Mix». Unter anderem geht es also darum, unser Einkaufserlebnis so zu gestalten, dass wir dazu animiert werden, mehr Geld auszugeben und zur Umsatzsteigerung der Bahnhofgeschäfte beizutragen – und damit der SBB höhere Mieteinnahmen zu verschaffen. 

Wir, AlgorithmWatch CH, die Digitale Gesellschaft und die weiteren unterzeichnenden zivilgesellschaftlichen Organisationen und Personen, sind überzeugt, dass diese Überwachung nicht mit unseren Grundrechten vereinbar ist. Wir fordern die SBB auf:

  1. zuallererst umfassend für Klarheit zu sorgen und die Öffentlichkeit transparent darüber zu informieren, was geplant ist – dazu gehört auch die Offenlegung einer allfälligen Datenschutz-Folgenabschätzung;
  2. keine Infrastruktur zur biometrischen Identifikation, Verfolgung oder Kategorisierung in Bahnhöfen zu installieren, da diese die Voraussetzung für eine umfassende Überwachung schafft;
  3. von jeglicher Datenerfassung und -bearbeitung im öffentlich zugänglichen Raum abzusehen, die nicht mit unseren Grundrechten konform ist. Dazu gehört nebst der biometrischen Identifikation und Verfolgung auch die biometrische Kategorisierung, die Menschen anhand ihrer biometrischen Daten in (unter anderem vom Diskriminierungsrecht geschützte) Kategorien einteilt. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese in erster Linie kommerziellen Interessen dient. Denn: Kommerzielle Interessen rechtfertigen schlicht keine derartigen Grundrechtseingriffe.

Warum ist das wichtig?

Für die biometrische Kategorisierung von Menschen nach Kriterien wie Geschlecht oder Alter ist davon auszugehen, dass die SBB auf die Auswertung von Gesichtern zurückgreifen müsste. Solche Systeme entbehren nicht nur oft einer soliden wissenschaftlichen Grundlage, sondern bergen auch ein erhöhtes Risiko für Diskriminierung. Ihr Einsatz in öffentlich zugänglichen Räumen lässt sich nicht legitimerweise rechtfertigen und steht in keinem Verhältnis zu den scheinbaren Zielen der SBB, bauliche Massnahmen zu treffen sowie die «Abschöpfung» pro Reisende zu erhöhen, um so die Umsätze der Bahnhofsgeschäfte zu steigern – und damit letztlich mehr Mieteinnahmen zu generieren.

In einer Stellungnahme entgegnet die SBB, dass die Analysen insbesondere zur Planung von Reinigungsintervallen, Platzierung von Sitzgelegenheiten oder für bauliche Massnahmen herangezogen werden. Das widerspricht jedoch nicht nur den Ausschreibungsdokumenten, in denen die Umsatzsteigerung der Bahnhofsgeschäfte als klare Absicht erkennbar wird, sondern auch der gewünschten detaillierten biometrischen Auswertung der Personen, denn für solche Planungen wären weder die Erfassung des Alters noch des Geschlechts notwendig. 

Die biometrische Überwachung von Reisenden zu kommerziellen Zwecken in den Bahnhöfen bedeutet eine erhebliche Verletzung unserer Grundrechte. Der öffentliche Verkehr spielt im Alltag eines grossen Teils der Schweizer Bevölkerung eine zentrale und nicht ersetzbare Rolle. Bei Bahnhöfen handelt es sich um öffentlich zugänglichen Raum, den wir nicht meiden können und in dem wir uns bewegen können sollten, ohne ständig überwacht zu werden. An Bahnhöfen wird nicht nur eingekauft, sondern wir treten hier auch unsere privaten und beruflichen Reisen an und treffen uns mit anderen Menschen. Bereits das Vorhandensein einer Infrastruktur zur biometrischen Erkennung oder Verfolgung an diesem Ort kann uns davon abschrecken, uns darin frei und unerkannt zu bewegen oder uns etwa mit anderen zu versammeln – und damit zentrale Grundrechte wahrzunehmen. Dies zeigt sich umso mehr (aber nicht ausschliesslich), wenn damit potenziell auch die Möglichkeit besteht, unsere Bewegungen und unser Kaufverhalten mit unserer Identität zu verknüpfen. 

Als Kund*innen der SBB, als Nutzende von Bahnhöfen und ganz einfach als Bevölkerung der Schweiz rufen wir die SBB dazu auf, davon abzusehen, diese umfassende Infrastruktur mit ihrem Potenzial zur Massenüberwachung an Bahnhöfen zu installieren. Unsere Grundrechte sind nicht gegen kommerzielle Interessen abzuwägen – und auch die SBB hat diese zu achten. Wir fordern: Keine Massenüberwachung an Schweizer Bahnhöfen!


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