Meinungsbeitrag im Tagesanzeiger
KI – Dreckschleuder oder Weltretterin?
Es ist 2025 und die Auswirkungen des Klimawandels springen uns wöchentlich von den Titelseiten entgegen: Städte brennen, Wüsten breiten sich aus, Gletscher schmelzen. Geht es nach den Hochglanzwebsites der Tech-Konzerne, scheint nun aber die Lösung gefunden: Künstliche Intelligenz. Doch nicht nur beim internationalen «AI Action Summit» nächste Woche in Paris wird auch ein anderer Blick auf die Technologie geworfen.

Das Bild der KI als Weltretterin, verfügbar gemacht in der luftig-weissen «Cloud», quasi magisch auf Knopfdruck von Mark Zuckerberg, Sam Altman und co., ist schnell entlarvt. KI ist physisch. Gerade grosse, generative KI-Modelle wie ChatGPT benötigen ein enormes Ausmass an physischer Infrastruktur, menschlicher Arbeit und wertvollen Ressourcen: Für die Hardware werden seltene Mineralien abgebaut. Für ihre Entwicklung braucht es unzählige Stunden menschlicher «Click-Arbeit», oft vorgenommen unter prekären Arbeitsbedingungen im Globalen Süden. Für den KI-Betrieb notwendige Rechenzentren, die weltweit wie Pilze aus dem Boden spriessen, verbrauchen enorme Mengen an Energie und Wasser. Sowohl Microsoft als auch Google mussten letztes Jahr mitteilen, dass sie ihre ursprünglichen Nachhaltigkeitsziele wieder über Bord werfen mussten: Die KI hat ihren CO2-Ausstoss um knapp 30 bzw. 50 Prozent in die Höhe getrieben.
Grosse KI-Modelle, wie sie heute die Schlagzeilen beherrschen, sind also auch eine Dreckschleuder. Doch, Moment: Wiegen die «Chancen» in der Bekämpfung des Klimawandels, die die KI verspricht – etwa effizientere Stromnetze oder besser vorhergesagte Naturkatastrophen –, dies nicht einfach auf? Können wir nicht, frei nach Bill Gates, behaupten, dass KI zwar den Energieverbrauch um sechs Prozent erhöhen wird, aber wir dank KI dieselben sechs Prozent gleich wieder einsparen werden? Dass KI zwar vorerst auf fossile Energie angewiesen bleibt (oder es dafür halt neue Atomkraftwerke braucht, wie die grossen Technologiekonzerne es derzeit selbst planen), aber langfristig sauber und grün wird? Dass wir also immer mehr in immer noch grössere KI-Modelle investieren müssen, um die goldene KI-Zukunft Realität werden zu lassen – etwa, wie von Donald Trump, OpenAI, Oracle und der japanischen Softbank angekündigt, mit einem 500 Milliarden US-Dollar schweren Investitionspaket namens Stargate?
Das alles prophezeien die Technologiekonzerne und ihre Investoren. Doch: Belege haben sie dafür keine. Nicht nur, weil es sich um spekulative Zukunftsszenarien handelt. Nicht nur, weil das (gemäss eigenen Angaben vergleichsweise günstig entwickelte) KI-Modell des chinesischen Unternehmens DeepSeek den Ruf nach immer grösserer KI als aufgeblasene PR-Erzählung entlarvt. (Was sich nicht zuletzt darin zeigte, dass DeepSeek auch gleich ihre Börsenwerte zumindest kurzzeitig zum Absturz gebracht hat.) Sondern auch, weil hier etwas grundlegend durcheinandergebracht wird. Denn KI ist nicht gleich KI: Natürlich gibt es KI-Systeme, die tatsächlich einen wertvollen Beitrag leisten können, um nachhaltigere, energieeffizientere Lösungen zu entwickeln. Diese sind oft viel kleiner, lösen ganz spezifische Tasks, werden von Wissenschaftler:innen im öffentlichen Interesse entwickelt – und gehen auch nicht mit demselben enormen Ressourcenverbrauch einher. Nur: Solche Anwendungen können wir nicht einfach in denselben Topf werfen wie die riesigen, Allzweck-KI-Systeme wie ChatGPT oder Gemini, die in den Händen weniger riesiger Konzerne sind. Doch die grossen Versprechen und die öffentliche Aufmerksamkeit ranken sich um Letztere – und dahin fliessen die Milliarden an Investitionen.
Davon profitieren letztlich dieselbe Handvoll Unternehmen – beziehungsweise die Männer an ihrer Spitze und hinter ihrem Geldhahn. Solange wir ihre monopolisierte Technologie unhinterfragt akzeptieren und ihre Erzählung, dass wir den ökologischen, sozialen und ökonomischen Preis von immer grösseren KI-Modellen zugunsten eines ungewissen Nutzens in der Zukunft akzeptieren müssen, unhinterfragt übernehmen, sorgen wir dafür, dass KI vor allem ihrem illustren Kreis, nicht aber der Menschheit und dem Planeten als Ganzes dient.
Der AI Action Summit, zu dem am Montag auf Einladung von Frankreich in Paris Regierungen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft – darunter AlgorithmWatch – zusammenkommen, rückt so eine wichtige Aufgabe ins Licht: Wir müssen nicht nur KI für Nachhaltigkeit nutzen, sondern auch dafür sorgen, dass die Technologie selbst nachhaltig wird. Auch in der Schweiz. Der Bundesrat wird Mitte des Monats eine Auslegeordnung zu KI-Regulierungen veröffentlichen. Ihm sollte bewusst sein: Das Potenzial der Technologie nutzen wir nur dann wirklich, wenn wir ihre Herausforderungen ernsthaft angehen. Dazu gehört auch, den ökologischen Fussabdruck und die Machtkonzentration hinter grossen KI-Modellen in den Fokus zu rücken und so ein innovatives, nachhaltiges und gemeinwohlorientiertes KI-Ökosystem zu ermöglichen.
Es ist 2025 und wir hoffen noch immer, dass irgendjemand oder irgendetwas – diesmal KI – uns der grossen Aufgabe entledigt, den Planeten zu retten. Natürlich müssen wir prüfen, wo Technologie uns dabei helfen kann. Aber die Verantwortung liegt bei uns. Dass wir glauben, dass OpenAI, Microsoft, Google und Co. uns aus purem Altruismus diese Aufgabe abnehmen, mag mit Blick auf ihre Werbeetats erklärbar sein – moralisch, empirisch oder ökologisch rechtfertigbar ist es nicht.
Dieser Meinungsbeitrag ist in gekürzter Form am 7. Februar 2025 im TagesAnzeiger erschienen.