
Medienmitteilung
Bundesrat verzögert Regulierung für Social Media und Suchmaschinen weiter
Trotz – oder gerade wegen – der zunehmenden Machtkonzentration bei den grossen Tech-Konzernen lässt der seit einem Jahr angekündigte Gesetzesentwurf zur Regulierung von Online-Plattformen wie Instagram, X oder Google Search weiter auf sich warten. In einem heute veröffentlichten Positionspapier zeigt AlgorithmWatch CH umfassend auf, welche Massnahmen es braucht, um dieser Machtkonzentration zu begegnen und auch online eine konstruktive öffentliche Debatte zu ermöglichen, die für die Gesellschaft und die Demokratie förderlich ist.

Meta-CEO Mark Zuckerberg ändert die Regeln für die Inhaltemoderation auf Instagram und Facebook, Tech-Unternehmer Elon Musk hat innert kürzester Zeit die Plattform X zu einem Lautsprecher für seine eigenen wirtschaftlichen und politischen Zwecke geformt und bei Trumps Amtseinführung sitzen die Tech-CEOs in der ersten Reihe. In Anbetracht dieser enormen Machtkonzentration und Intransparenz wäre es höchste Zeit, dass der Bundesrat seinen – ursprünglich für März 2024 – angekündigten Gesetzesentwurf zur Regulierung von Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen endlich vorlegt.
«Wie Online-Plattformen und ihre Algorithmen funktionieren, ist heute nicht verlässlich und nachvollziehbar, sondern oft willkürlich und abhängig von den Launen, Geschäftsinteressen und politischen Zwängen ihrer Inhaberschaft, wie derzeit etwa im Falle von X oder den Meta-Plattformen eindrücklich unter Beweis gestellt wird. Das muss sich ändern. Der Bundesrat muss Verantwortung übernehmen und unseren demokratischen Diskurs schützen. Mit seiner Verzögerung nimmt er es in Kauf, dass grosse Tech-Konzerne weiterhin weitgehend unbehelligt einen konstruktiven öffentlichen Diskurs torpedieren, um damit ihren Profit zu maximieren – auf Kosten der Gesellschaft.»
Estelle Pannatier, Policy Managerin, AlgorithmWatch CH
Doch der Bundesrat lässt weiter auf sich warten. Inwiefern die zunehmende Verflechtung von Politik und Big-Tech-Konzernen den Bundesrat derzeit unter Druck setzt, darüber kann nur spekuliert werden. Fest steht: Die Rufe nach Deregulierung und maximalen Investitionen in Tech-Unternehmen und KI-Infrastruktur werden weltweit lauter, wie etwa der AI Action Summit vergangene Woche in Paris zeigte. Auch die Kritik am europäischen Umgang mit Social-Media-Plattformen und die damit verbundenen Drohungen des US-Vizepräsidenten J.D. Vance (und nicht zuletzt die Reaktionen in der Schweiz auf dessen Rede an der Münchner Sicherheitskonferenz) machen eines deutlich: Rahmenbedingungen für Online-Plattformen zu gestalten, die Grundrechte, Demokratie und Nachhaltigkeit ermöglichen, könnte auch in der Schweiz nicht mehr oberste Priorität geniessen.
Rahmenbedingungen für eine konstruktive öffentliche Debatte gefordert
Die zivilgesellschaftliche Organisation AlgorithmWatch CH zeigt in einem heute veröffentlichen Positionspapier umfassend auf, was notwendig wäre, um eine konstruktive öffentliche Debatte zu ermöglichen, die …
- … förderlich ist für die Gesellschaft und die Demokratie: So sollten Plattformanbieter etwa dazu verpflichtet werden, Risiken für Grundrechte, Gesellschaft und Demokratie einzuschätzen und Rechenschaft darüber abzulegen, was sie tun, um diese zu verhindern. Der Zugang zu Daten von einflussreichen Online-Plattformen sollte für Forschung im öffentlichen Interesse ermöglicht werden.
- … positiv ist für die Einzelnen: Um den Schutz von Grundrechten zu stärken, braucht es mehr Transparenz zur Frage, wie Plattformen Inhalte empfehlen und moderieren. Plattformen müssen Nutzenden die Möglichkeit geben, sich einerseits vor illegalen Inhalten besser zu schützen und sich andererseits aber auch wirksam zur Wehr zu setzen, wenn legale Inhalte ungerechtfertigterweise gelöscht werden.
- … fair ist für alle: Nebst einem stärkeren Schutz vor Online-Diskriminierung braucht es etwa auch Massnahmen, um für die Menschen hinter Plattformalgorithmen – sogenannte «Content Moderators» und «Click Workers» – menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu garantieren.
- Zudem zeigt AlgorithmWatch CH auf, dass es eine vorausschauende und wirksame Umsetzung der Plattformregulierung braucht, damit eine solche Regulierung nicht zum zahnlosen Papiertiger verkommt.
All diese Massnahmen stellen wichtige Schritte dar, um Online-Plattformen nicht mehr der Willkür von nicht rechenschaftspflichtigen Unternehmen zu überlassen. Diese Schritte sollen Social Media wieder stärker zu einem Ort zu machen, an dem ein konstruktiver Dialog stattfinden kann.
Puzzleteil einer umfassenden Strategie im Umgang mit Algorithmen, KI und Big Tech
AlgorithmWatch CH weist darüber hinaus darauf hin, dass es ergänzend zu einer Plattformregulierung, wie der Bundesrat sie angekündigt hat, weitere Massnahmen braucht, um konstruktive öffentliche Debattenräume zu gestalten, die nicht von der Machtkonzentration von Tech-Unternehmen geprägt sind. Der Bundesrat sollte die Gelegenheit nutzen, um über den Tellerrand hinaus zu schauen: So braucht es auch Schritte, ...
- … um der Marktmacht der Plattformunternehmen durch wettbewerbsrechtliche Massnahmen zu begegnen;
- … um die interdisziplinäre Forschung zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Online-Plattformen zu fördern;
- … um die Medien- und Demokratiekompetenz in der gesamten Bevölkerung zu stärken;
- … um einen starken Journalismus zu ermöglichen; und
- … um demokratieförderliche Alternativen zu den jetzigen, auf Profitmaximierung ausgerichteten Plattformen zu entwickeln.
«Social-Media-Plattformen, die es einfach machen, zu Hass aufzustacheln, oder KI-Chatbots auf Suchmaschinen, die unzuverlässige Antworten ausspucken, zeigen: Hier läuft etwas falsch. In unserer Demokratie brauchen wir eine konstruktive öffentliche Debatte, die uns Zugang zu verlässlicher Information gibt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und dabei die Grundrechte von Einzelpersonen achtet. Die Politik muss jetzt Farbe bekennen: Wenn sie das ermöglichen will, muss sie über den Tellerrand hinaus denken und bereit sein für weitere Massnahmen, um der Machtkonzentration bei grossen Tech-Konzernen zu begegnen.»
Angela Müller, Geschäftsleiterin AlgorithmWatch CH
Zudem fordert die Organisation, dass diese Massnahmen auch als Puzzleteil einer umfassenden Strategie im Umgang mit Algorithmen, KI und Big Tech verstanden werden, wie sie in einer separaten Stellungnahme zur letzte Woche kommunizierten Stossrichtung des Bundesrates zur KI-Regulierung aufzeigt.